Geschichte der Osteopathie

Andrew Taylor Still (1828-1917) entdeckte gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dass bereits kleinste Fehlstellungen der Knochen eine Irritation der umliegenden Gewebe hervorrufen können. Diese somatischen Dysfunktionen – Still nannte sie Läsionen – können den freien Fluss der Körperflüssigkeiten (Blut, Lymphe, Liquor / Nervenwasser) behindern. Aus dem gehinderten Fluss entstehen dann Zustände von Auszehrung und Überfüllung, nicht selten weit von der ursprünglichen Läsion entfernt.

Still entwickelte eine Methode, solche Läsionen zu entdecken und mit den Händen auf sie einzuwirken, um so die Wiederherstellung des freien Flusses zu fördern. Seiner Behandlungsmethode gab er den Namen Osteopathie. Er etablierte seine Praxis in Kirksville, Missouri, im amerikanischen Mittelwesten. Seine Schüler John Martin Littlejohn (1865-1947) und William G. Sutherland (1873-1954) entwickelten Stills Methode weiter. Littlejohn war begeisterter Physiologe und verfolgte einen eher mechanischen Ansatz der Entstehung von Krankheiten. Sutherland entwickelte die kraniale Osteopathie, die sich mit der Bewegung der Schädelknochen und deren Auswirkung auf die Nervenflüssigkeit beschäftigt.

Seit den Gründerzeiten beruht die osteopathische Behandlung auf fundierten Kenntnissen der Anatomie und ausführlicher palpatorischer Diagnostik (Untersuchung mit den Händen). Ihr Blick richtet sich in erster Linie auf die Gesundheit im Menschen, die zu finden und zu unterstützen ist. Aus osteopathischer Sicht bedeutet Gesundheit, dass alle Körperstrukturen auf allen Ebenen harmonisch zusammenarbeiten. Der Organismus kann Störungen ausgleichen, indem andere Strukturen eine ausgefallene Funktion übernehmen. Daraus können aber neue Störungen an ganz anderen Stellen entstehen. Die Osteopathie versucht immer, die ursprüngliche Störung zu entdecken und zu behandeln. Sie konzentriert sich nicht auf das Symptom, sondern blickt ganzheitlich auf das System.

Säulen der Osteopathie

Parietale Osteopathie

Die parietale Osteopathie geht auf Andrew Taylor Still zurück und bildet den ältesten Kern der Lehre. Sie ist aus der Behandlung von Knochen und Gelenken entstanden und liefert das mechanische Konzept für die Ausrichtung von Knochen und Gewebestrukturen. Still verband seine Behandlungen mit seinem Gedankengebäude zur Behandlung vieler Krankheiten. So entstand ein Behandlungsansatz, der weit über das mechanische Konzept des Knocheneinrenkens hinausgeht. Die Gelenkmanipulationen werden durch Wirbelsäulenmobilisation, Muskel- und Faszientechniken ergänzt.

Viszerale Osteopathie

Die viszerale Osteopathie beschäftigt sich mit den inneren Organen und dem umgebenden Gewebe (Nerven, Blutgefäße, Lymphsystem). Auch hier spielt der ungehinderte Zu- und Abfluss der Flüssigkeiten eine entscheidende Rolle. Die Organe haben eine eigene Mobilität und bewegen sich relativ zu ihrer Umgebung um bestimmte Achsen. Die Impulse dafür kommen unter anderem von der Atmung und der allgemeinen Körperbewegung. Auch im Bereich der Organe kann der Osteopath Einschränkungen der Mobilität erkennen und behandeln. Eine wichtige Rolle spielt in der viszeralen Osteopathie auch das autonome (vegetative) Nervensystem, das mit den Organbewegungen im Zusammenhang steht und das Hormonsystem beeinflusst.

Cranio-sakrale Osteopathie

Die Grundlagen der cranio-sakralen Osteopathie wurden von William Garner Sutherland entwickelt. Sie gehen von der Beobachtung aus, dass sich die Strukturen zwischen Schädelknochen (lat. cranium) und Kreuzbein (lat. sacrum) ähnlich dem Atem rhythmisch bewegen. Osteopathen lernen, diese Bewegung mit den Fingern zu erfühlen, zu beurteilen und auf sie einzuwirken.
Die „Upledger CranioSacrale Therapie“ ist von John Upledger entwickelt worden. Im achtsamen Kontakt mit dem Patienten werden Stressfaktoren im Körper des Patienten bewusst gemacht. Dieser Wahrnehmungsprozess führt zu einer besseren Regulation des zentralen Nervensystems. Heilungsprozesse sowie Immunsystem und somit Gesundheit und Wohlbefinden können unterstützt werden.

Grenzen der Osteopathie

Man kann nicht alle Krankheiten osteopathisch behandeln. Das gilt insbesondere für alle akuten Erkrankungen – unter anderem Infektionskrankheiten, Herzinfarkte oder psychische Krisen. In solchen Fällen sind Haus- oder Facharzt sowie die Notfalldienste zuständig.

Die Osteopathie kann jedoch nach der akuten Phase als Anschlussbehandlung sinnvoll sein. Sie kann dazu beitragen, negativen Folgewirkungen der akuten Erkrankung vorzubeugen.